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Die Anwohner befürchten Lärm und Wertverlust

von Bi-Bahntrasse

Die Anwohner befürchten Lärm und Wertverlust

(Stuttgarter Zeitung vom 28. Dezember)

Bahn stößt beim Ausbau der Rheintaltrasse auf Protestwelle

Der Ausbau der Rheintalbahn zwischen Offenburg und Basel steckt fest. Die Anwohner fordern besseren Lärmschutz und drohen mit einer Klagewelle. Neuerdings hat sich auch der Ministerpräsident des brisanten Themas angenommen.

VON UTE KÖHLER

Freiburg. Langsam wird es eng im Freiburger Regierungspräsidium: 20.000 Einwendungen gegen den Bau des dritten und vierten Gleises der Rheintalstrecke sind bisher eingegangen. Der Inhalt von 200 Aktenordnern muss durchgelesen, bearbeitet, beantwortet werden. Bürgerinitiativen im 21. Jahrhundert arbeiten effektiv. Es muss nicht mehr jeder Einspruch mühsam verfasst werden; Textbausteine sind über das Internet abrufbar, und sie sind, dank der Arbeit qualifizierter Mitglieder, einwandfrei formuliert. Bei der Bundesregierung und bei der Bahn wird man sich den Bau der neuen Güterbahntrasse im Rheintal einfacher vorgestellt haben. Eigentlich war man davon ausgegangen, dass der Anschluss der Strecke an das modernisierte Tunnelsystem der Schweiz bis zum Jahr 2016 abgeschlossen sein würde. Womit man offensichtlich nicht gerechnet hat, ist der entschlossene Widerstand der Bevölkerung zwischen Offenburg und Basel.
Dass die transkontinentale Güterzugstrecke Rotterdam – Mailand mitten durch Wohngebiete und Innenstädte führen soll – nur fünf Meter von Wohngebäuden entfernt –, ruft die Bevölkerung auf die Barrikaden. Die Anwohner fürchten »Lärmterror«, Bauschäden an ihren Häusern und Wertverluste. Eine Immobilie, die plötzlich direkt an der Bahntrasse stehe, werde schließlich massiv an Wert verlieren. »Die Bahn will eine Billiglösung auf unsere Kosten durchsetzen«, fürchten die Gegner. Da werde dann auch kein Lärmschutzzaun mehr helfen.
Zwischen Offenburg und Basel bis hin nach Bad Säckingen haben sich unter dem Dach der IG Bohr (Interessengemeinschaft Bahnprotest am Ober- und Hochrhein) neun Bürgerinitiativen gegründet, denen mittlerweile rund 17.000 Menschen angehören. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch die lokalen Politiker, die Bürgermeister, die Landräte, die Regionalverbände und selbst der Regierungspräsident teilen die Befürchtungen der Anrainer. In Herbolzheim hat der Bürgermeister kürzlich die Anhörung zum Gleisneubau vorzeitig beendet und die Pläne abgehängt: »Ich wollte ein Zeichen setzen«, begründete er seinen ungewöhnlichen Schritt. In Freiburg hat OB Dieter Salomon die Unterlagen, die die Stadt von der Bahn erhalten hat, kurzerhand ins Internet gestellt: Was da geplant sei, müsse von jedermann einzusehen sein, fand er.
Mittlerweile hat auch der letzte Abgeordnete der Region begriffen, dass die Trassenplanung der Bahn zwischen Offenburg und Basel ein heißes Eisen ist. Quer durch die Fraktionen des Bundestages scheint neuerdings Einigkeit darüber zu bestehen, daß der Schienenbonus auf den Prüfstand gestellt werden muss, der der Bahn erlaubt, mehr Krach zu machen als der Straßenverkehr. Leisere Züge, Tieflage, Tunnel, nachhaltige Planung: das sind die Forderungen nicht nur der Bürgerinitiativen, sondern auch der Politik, bestätigt der Freiburger Regierungspräsident Sven von Ungern-Sternberg (CDU): »Was der ganzen Raumschaft nicht einleuchten will, das ist, dass man erst eine Trasse baut und hinterher sechs bis acht Meter hohe Lärmschutzwände hochziehen lässt.«
Ausgerechnet Bahnchef Hartmut Mehdorn selbst liefert den Gegnern seiner Planung im Spätsommer neue Munition. In einem Gespräch mit der Offenburger Oberbürgermeisterin Edith Schreiner deutete er an, dass die Verkehrsprognose zum Jahr 2015, mit der gegenwärtig geplant wird, kurze Zeit später schon überholt sein wird. Eine Nachfrage des Regierungspräsidenten bestätigte: Ist die Güterbahntrasse erst einmal gebaut, wird auch der Verkehr erheblich zunehmen. »Unsere Argumente hat das eher noch beflügelt«, sagt von Ungern-Sternberg.
Dass Mehdorn die Rheintalbahn mit veraltetem Material zur »Schlagader Europas« mit letztlich mehr als 500 Güterzügen pro Tag ausbauen will, findet in Südbaden keinen Beifall. Die Bürgerinitiativen stellen massenhaft Klagen in Aussicht, und seit Ende vergangener Woche scheint endlich auch Unterstützung aus Stuttgart in Sicht. Drei Tage vor Weihnachten bat Ministerpräsident Günther Oettinger regionale Politiker zu einem CDU-Bahngipfel in Offenburg gebeten. Weil die Öffentlichkeit nicht zugelassen war, werden erst nach und nach Details bekannt.
Die Sorge von IG-Bohr-Sprecher Adalbert Häge, Südbaden werde zu Gunsten von Oettingers Mammutprojekt Stuttgart 21 vernachlässigt, sieht jedenfalls der Regierungspräsident seither als überholt an: »Der Ministerpräsident hat eindeutig erklärt, dass der Ausbau der Rheintalstrecke für ihn die gleiche Priorität hat wie Stuttgart 21.« Was Oettinger außerdem zugestand, dürfte das Ende des ursprünglichen Zeitplans bedeuten. Das Regierungspräsidium kann in seinem Planungsverfahren künftig vom Prognosehorizont 2030 ausgehen. Das bedeutet eine Planung mit sehr viel höherem Zugaufkommen und ganz anderen Anforderungen an Lärmschutz und Trassenführung: »Das Jahr 2016 als Fertigstellungstermin wird immer unwahrscheinlicher«, resümiert von Ungern-Sternberg nach dem CDU-Gipfel.
Bei den Bürgerinitiativen denkt man, ein wenig scherzhaft, schon weiter. Auch südlich von Bonn gibt es neuerdings Ärger mit der lauten Bahntrasse: »Mit denen können wir uns ja zusammentun und dann nennen wir uns Die Wucht am Rhein«, flachst Häge.

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