Pressearchiv (2005 - 2020)

»Es ist ein absolut offenes Rennen«

von Bi-Bahntrasse

»Es ist ein absolut offenes Rennen«

A 3-Trasse oder Güterzugtunnel? Werner Hoffmann (Regierungspräsidium) gibt Einblick ins Planfeststellungsverfahren

VON W. KOLLMER, A. RICHTER, C. WAGNER UND K. PIEPER

Im Wilden Westen musste man bei der Planung von Eisenbahnstrecken vor allem an ausreichend Sprengstoff denken. Im 21. Jahrhundert geht dem Bau neuer Gleise, wie jetzt bei der Rheintalbahn, ein hochkomplexer Planungsprozess voraus. Herr dieses Verfahrens ist Werner Hoffmann. Der Jurist leitet beim Regierungspräsidium das Planfeststellungsverfahren für den Neubau des dritten und vierten Gleises. Im OT-Interview macht der 57-Jährige verblüffende Aussagen: Durch das Raumordnungsverfahren seien keinerlei Pflöcke eingeschlagen, das Rennen zwischen den beiden Varianten – Güterzugtunnel (665 Mio. Euro) und A 3-Trasse (180 Mio., oberirdisch durch die Stadt) – sei offen. Zur Kostendifferenz sagt er: »Je stärker die Betroffenheiten sind, desto mehr darf der Schutz der Bevölkerung kosten.«
• Was muss die Stadt dafür tun, damit der Güterzugtunnel eine Chance hat?
HOFFMANN: Sie hat mit der Beauftragung des Gutachters eine gute Vorarbeit geleistet. Das Gutachten ist deutlich mehr als eine reine Machbarkeitsstudie. Der Güterzugtunnel wird darin nach mehreren Kriterien untersucht. Die Unterlagen reichen natürlich noch nicht für eine abschließende Beurteilung aus. Das ist aber auch nicht Aufgabe der Stadt.
• Und wie kommt der Tunnel nun ins Planfeststellungsverfahren?
HOFFMANN: Die Stadt wird die Tunnelvariante als Einwendung einbringen. Wir werden sie aber auch von uns aus prüfen, denn wir als Anhörungsbehörde haben alle Varianten, die sich vernünftigerweise aufdrängen, von Amts wegen zu prüfen, also auch den Tunnel.
• Wie läuft der Prüfungsprozess im Detail ab?
HOFFMANN: Wir sind in Kontakt mit der Bahn und wissen, sie plant vom Prinzip her die A 3-Variante mit 6,25 Promille Absenkung. Wir haben der Bahn aber gesagt, dass sie auch die Güterzugtunnel-Variante genauer untersuchen muss. Es gibt zwar hierzu das von der Stadt in Auftrag gegebene Gutachten, aber ich benötige auch eine gründliche Stellungnahme der Bahn zu allen Aspekten der Planung.
• Bahnchef Mehdorn hat sich ja diesbezüglich schon aus dem Fenster gelehnt . . .
HOFFMANN: Richtig. Er hat laut Frau Oberbürgermeisterin Schreiner gesagt, der Tunnel ist technisch machbar und sinnvoll – es hängt also nur am Geld. Natürlich sind die Mehrkosten von 485 Millionen Euro bei der Abwägung schon zu berücksichtigen. Aber es gibt auch erhebliche Betroffenheiten in der Bevölkerung, die wir beachten müssen. Wir wollen beispielsweise feststellen, wie viele Grenzwertüberschreitungen wir denn tatsächlich haben. Vor allem möchte ich mir einen Überblick über die so genannten »Restkonflikte« verschaffen.
• »Restkonflikte«?
HOFFMANN: Darunter versteht der Gutachter der Bahn die Anzahl der Wohneinheiten, die neben dem aktiven Lärmschutz (Lärmschutzwände) wegen der immer noch verbleibenden Überschreitung der Grenzwerte zusätzlich passiven Lärmschutz (Lärmschutzfenster) benötigen. Nach den uns vorliegenden Gutachtensentwürfen sind das in Offenburg immerhin 2339 Einheiten! Hier wollen wir genaue Informationen, was sich in diesem Lärmband tut.

»Das ist einfach ein Prüfprozess, den die Planung der Bahn überstehen muss«

• Wer soll Ihnen diese Erkenntnisse liefern – die Bahn oder die Stadt? Die eine traut ja der anderen nicht . . .
HOFFMANN: Ich weiß, es wird kritisch gesehen, wenn die Bahn hierzu Stellung nimmt. Aber zunächst einmal hat die Bahn vereidigte Sachverständige, und wir sind in der Lage, solche Gutachten zu lesen und zu bewerten. Wir prüfen intensiv, ob zum Beispiel das Verhältnis von aktivem und passivem Lärmschutz richtig gewichtet ist.
• Ist das nicht ein Systemfehler, wenn Sie die Bahn zwingen, Material zusammen zu tragen gegen ihren eigenen Vorschlag?
HOFFMANN: Ich meine nicht! Das ist einfach ein Prüfprozess, den die Planung der Bahn überstehen muss. Entweder ist sie gut, dann hält es dem Stand, oder sie ist unzureichend, dann muss sie geändert werden.
• Diese Ergebnisse fließen dann in das Planfeststellungsverfahren ein. Wie gehen Sie da genau vor?
HOFFMANN: Zunächst müssen wir die Antragsvariante – den Antrag der Bahn – prüfen. Dann haben wir die Tunnelvariante zu prüfen und müssen entscheiden, ob diese Variante unter Abwägung aller Gesichtspunkte eindeutig vorzuziehen ist. Wenn ja, können wir den Tunnel aber nicht in das Verfahren bringen, wie viele meinen, sondern in unsere abschließende Stellungnahme nur hineinschreiben, dass das Eisenbahnbundesamt (EBA) den Antrag der Bahn auf Genehmigung der A 3 ablehnen möge. Wenn das EBA dem folgen sollte, muss sich die Bahn überlegen, was sie dann macht, ob sie etwa mit dem Güterzugtunnel oder einer anderen Trasse neu ins Verfahren geht.
• Wenn man das Ganze mit einem 5000-Meter-Lauf vergleicht: Hat dann die A 3-Trasse, die schon länger im Rennen ist, 4500 Meter zurückgelegt – und der Tunnel eben die Startblöcke verlassen? Kann man das so sehen?
HOFFMANN: Nein. Wir sind ergebnisoffen. Entscheidend ist nicht der Zeitpunkt des Eingangs einer Variante, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung.
• Kennen Sie Beispiele, bei denen während der Planfeststellung noch einmal die Pferde gewechselt wurden?
HOFFMANN: Bei der Schiene haben wir jetzt noch keine Erfahrungen, aber bei Straßenprojekten ist es durchaus vorgekommen, dass Alternativvorschläge zum Zuge kamen. Die Einwendungen sollen auch eine Anstoßfunktion zur Optimierung einer Planung geben.
• Welche Auswirkungen hätte eine Trassenänderung auf die Raumordnung?
HOFFMANN: Da herrschen viele Missverständnisse! Es liegt uns eine raumordnerische Beurteilung von 2002 vor. Sie stellt nur fest, dass die A 3 mit den Zielen der Raumordnung verträglich ist. Das ist noch keine Gesamtabwägung. Sie müssen sich vorstellen, diese Beurteilung umfasst gerade mal 45 Seiten. Allein daran merken Sie, das sie nur eine Grobabschichtung in einem bestimmten Untersuchungsraum darstellt, während wir jetzt durch die Anhörung und Offenlage auch die privaten und sonstigen Aspekte bringen. Das leistet die Raumordnung ja nicht. Wir können uns über die Gesichtspunkte der Raumordnung hinwegsetzen, wenn zum Beispiel die Belange der Privaten überwiegen sollten.

»Die Bahn tut immer so, als ob die Trasse bereits festgelegt sei – das ärgert mich ein bisschen«

• Und man müsste dann nicht die Raumordnung neu aufrollen, falls der Tunnel den Vorzug bekäme, wie es gerne suggeriert wird?
HOFFMANN: Die Bahn tut immer so – das ärgert mich auch ein bisschen –, als ob das Regierungspräsidium die Trasse festgelegt hätte. Das ist nicht richtig. Die Raumordnungsbehörde hat nur den Antrag der Bahn geprüft, ob die A 3-Trasse den Zielen der Raumordnung entspricht. Das heißt noch lange nicht, dass eine Bündelung an der Autobahn oder eine Tunnelvariante nicht auch raumverträglich sein kann. In der raumordnerischen Beurteilung wird immer über das, was die Bahn beantragt hat, befunden. Dennoch behauptet die Bahn, das Regierungspräsidium habe die Trasse doch bereits festgelegt.
• Also sind mit der Raumordnung keine Pflöcke eingeschlagen, wir haben vielmehr ein richtig schönes absolut offenes Rennen?
HOFFMANN: Ja, natürlich!
• Was sagen Sie zu dem Klüngelvorwurf, die Bahn und das Regierungspräsidium steckten unter einer Decke? So könnte man zumindest die Aussagen von DB-Gesamtprojektleiter Hein-Georg Haid interpretieren, der vollmundig verkündet hat, die Bahn habe ihre Trasse mit den Beamten des RP abgestimmt . . .
HOFFMANN: Also ich muss mich gegen diese Aussage schon sehr verwahren! Es findet definitiv keine Abstimmung über die Trasse in der Weise statt, dass wir bereits im Vorfeld unsere Zustimmung gegeben hätten. Wir erhalten zwar Informationen von der Bahn, aber es ist unsere ureigenste Aufgabe, die Trasse der Bahn auf den Prüfstand zu stellen. Von wegen, es sei schon alles abgestimmt! Wir haben ja noch nicht einmal die endgültigen Unterlagen. Wir haben aber in dem Verfahren im Vorfeld schon vieles erreicht – die Absenkung auf 6,25 Promille kommt ja auch nicht von ungefähr. Von Geklüngel kann also nicht die Rede sein.
• Kommen wir mal zum Geld. Diese Differenz zwischen den Kosten – ist das ein Killerargument für Sie?
HOFFMANN: Das ist eine ganz schwierige Frage. Normalerweise schlagen Mehrkosten dieser Größenordnung bei der Gesamtabwägung schon zu Buche. Aber wir haben in Offenburg die Sondersituation, dass die privaten Betroffenheiten doch erheblich sind. Wenn die Unterlagen uns vorgelegt werden, wollen wir uns deshalb genau anschauen, was Haus für Haus in Offenburg geschieht, und dann müssen auch die privaten Betroffenheiten in die Abwägung eingestellt werden. Je stärker diese Betroffenheiten sind, desto mehr darf auch der Schutz der Bevölkerung kosten.
• Der Schutz dieser 2339 betroffenen Privateinheiten könnte also durchaus so teuer werden, dass die finanzielle Differenz der beiden Varianten kleiner wird?
HOFFMANN: Das wird man prüfen müssen. Ich will das nicht ausschließen.
• Ist für Sie der Bahngraben eigentlich auch so ein Knackpunkt? Die Bahn sagt ja immer da sind schon vier Gleise, damit können wir machen, was wir wollen!
HOFFMANN: Wir haben immer die Auffassung vertreten, dass eine Lärmsanierung hier nicht ausreicht, sondern dass die Auswirkungen des planfestzustellenden Abschnitts in den Bahngraben hineinwirken. Somit ist das wie ein Neu- oder Ausbau zu behandeln, was zur Folge hat, dass die Regeln der Lärmvorsorge anzuwenden sind, Hier gelten schärfere Grenzwerte. Die Lärmsanierung hat deutlich niedrigere Grenzwerte, das sieht man zum Beispiel bei den Lärmschutzmaßnahmen in Bad Krozingen oder in Emmendingen. Ich denke, wir haben uns auch in diesem Punkt durchgesetzt.
• Also sind im Bahngraben konkrete Verbesserungen vorgesehen?
HOFFMANN: Ja. Wir kennen die Pläne aber noch nicht im Detail. Ich denke, wir werden sie in einer der nächsten Projektbesprechungen mit der Bahn zu sehen bekommen – spätestens im April. Die Bahn arbeitet an der Planung und erwägt verschiedene Lösungen. Damit sind wir zunächst einmal zufrieden. Sie sehen, wir sind im Dialog und versuchen, etwas für die Stadt herauszuholen!
• Was sagen Sie den Leserbriefschreibern oder Verfassern von Einwänden, die am Schluss – falls die A 3 gebaut wird – das ganze riesige Verfahren als »Scheindemokratie« empfinden müssen?
HOFFMANN: Ein scheindemokratisches Verfahren ist es mit Sicherheit nicht. In einer Demokratie gibt es Gesetze, und hier hat sich der Gesetzgeber entschlossen, über die Bahnplanung nicht per Abstimmung zu entscheiden, sondern in einem Planfeststellungsverfahren, wo der Einzelne zu seinem Recht kommen kann, indem er eben Einwendungen einlegt. Auf der anderen Seite haben wir natürlich weitere Gesetze und Vorschriften, die den Rahmen bestimmen. Wir gewichten ja nicht willkürlich.

»Letztlich ist es eine politische Entscheidung, ob der Bundestag das Geld bereitstellt oder nicht«

• Um noch mal auf das Kosten-Delta zurückzukommen – wie groß müsste das sein, damit es am Ende eine Priorisierung für den Tunnel nach sich ziehen könnte?
HOFFMANN: Es gibt da keine allgemeingültigen Regelungen. Es kommt jetzt zunächst darauf an, die Relation zwischen Mehrkosten, Nutzen und Betroffenheiten herauszufinden. Vorher kann man überhaupt nichts dazu sagen. Aber Sie sehen anderseits ja auch: der Rastatter Tunnel wird jetzt offenbar doch gebaut. Da hat ein Umdenken bei der Bahn stattgefunden. Nicht die Verkürzung der Fahrzeit, sondern die größere Kapazität durch den Tunnel hat hier, wie man hört, offenbar den Ausschlag gegeben. Wenn sich die Bahn also mit dem Bund verständigen würde . . .
• . . . könnte sich Offenburg über den Tunnel freuen?
HOFFMANN: Mehrdorn sagt ja, es fehlt »nur« das Geld. Er ist aber nicht bereit, es aus der eigenen Kasse zu nehmen. Also ist der Bund gefragt, und somit ist es letztlich eine politische Entscheidung, ob der Bundestag die erforderlichen Mittel in seinen Haushalt mit aufnimmt – oder eben nicht.

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