„Hier gehöre ich hin!“

von Bi-Bahntrasse

Schwester Martina Merkle wird heute 75 Jahre alt. Die Ordensfrau hat an der Spitze der BI dem Bahnprotest ein Gesicht gegeben. Als Lehrerin vermittelte sie 43 Jahre lang kritisches Denken.

Als ein Teil der ökumenischen Doppelspitze der BI Bahntrasse im Kampf für einen menschenverträglichen Ausbau der Güterzugtrasse durch Offenburg hat Schwester Martina Merkle in Offenburg Geschichte geschrieben. Für ihr Engagement bekam die Ordensfrau gemeinsam mit Ex-Dekan Manfred Wahl 2017 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Das Bild der demonstrierenden Nonne hat sich in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt. Dabei ist es Schwester Martina gelungen, mit den Klischees von der im Stillen betenden Nonne aufzuräumen. Heute feiert die selbstbewusste Ordensfrau, die am 15. August 1969 der Glaubensgemeinschaft der Augustiner Chorfrauen im Kloster Unserer Lieben Frau in Offenburg beitrat, ihren 75. Geburtstag.

Freilich ist das Thema Güterzugtunnel eines der wichtigsten Kapitel im Leben der Schwester. Allein 67 Leitz-Ordner zeugen von dem Stellenwert, den das Ringen mit der Deutschen Bahn um einen Tunnel einnahm. Und sie bleibt weiter dran, „denn jetzt geht es um die Einzelheiten“, sagt Schwester Martina Merkle. Abraumhalden oder wohin mit dem Verkehr – das sind Fragen, die Bahn und die Gemeinden derzeit verhandeln. „Bürgerbeteiligung, dafür haben wir gekämpft. Und wir haben erreicht, dass die Betroffenen vorher gefragt werden und mit am Tisch sitzen“, sagt sie mit Genugtuung in der Stimme.

Schwester Martina wird 75 Jahre

Schwester Martina Merkle hat sich sofort wohl gefühlt, als sie das erste Mal vor der Pforte des
Klosters unserer Lieben Frau in Offenburg stand. Foto: Ulrich Marx

 

Ihren ersten Leserbrief in Sachen Bahn-Protest im Jahr 2001 bezeichnet die Ordensfrau als Weckruf. „Damals wurde mir klar, wenn die Bahn das durchzieht, haben wir einen Totalverlust.“ Eltern würden ihre Kinder wegen des Lärms nicht mehr an den Klosterschulen anmelden, war sich die damalige Kloster-Oberin sicher. Auch Ex-Dekan Manfred Wahl äußerte seine Kritik über einen Leserbrief im OT. „So haben wir uns kennengelernt“, erinnert sich Martina Merkle. Jahre des konsequenten, friedlichen Protestes folgten. Die BI Bahntrasse blieb unerbittlich in ihren Argumenten. Zuletzt war die Initiative auf 5000 Mitglieder angewachsen, weil die gesamte Stadtgemeinschaft merkte, dass das Monster-Projekt die Stadt zerstören würde. Der Zusammenschluss der IG Bohr, also aller BIs der betroffenen Gemeinden am Oberrhein, war laut Martina Merkle der Durchbruch. „Die haben nicht mit unserem Durchhhaltevermögen gerechnet.“ In der Hochphase des Protests meldete sich Martina Merkle auch im Fernsehen zu Wort: Zweimal allein war die Ordensfrau bei Wieland Backes zu Gast. „Das ist durchaus eine Form, wo auch wir als Ordensfrauen etwas zu sagen haben“, findet sie. Hätte beispielsweise der Apostel Paulus einen Fernseher gehabt, er hätte ihn genutzt, ist Schwester Martina überzeugt. So habe er damals eben Briefe geschrieben.

Schon ihr Ordensgründer Pierre Fourier habe gesagt, man müsse mit der Zeit gehen. Ihr Handy liegt beim Gespräch vor ihr auf dem Tisch und ihre Vorträge schreibt sie auf dem Computer. „Aber abhängig machen von einem Gerät möchte ich mich nicht“, sagt sie. „Etwas runterladen oder Whatsapp – das brauche ich eher selten.“ Schwester Martina hat 43 Jahre als Lehrerin gearbeitet. Schon sehr früh war für die als Gabriele Merkle in Villingen geborene Ordensfrau klar, dass sie diesen Beruf ergreifen möchte. „Ich wollte aber auch ein religiöses Leben führen. Einmal am Sonntag in die Kirche gehen war mir zu wenig.“

Schon mit zwölf Jahren habe sie bei einem Besuch im Villinger Münster beim Nägelinskreuz eine Art Anrufungsmoment gespürt. Während sie ihre Ausbildung als Lehrerin absolvierte und sogar als jüngste Lehrerin in Baden-Württemberg mit nicht einmal 21 Jahren ihre erste Stelle in Unterkirnbach antrat, machte sie sich mit der Unterstützung ihres Onkels, der Mönch war, auf die Suche nach einem für sie geeigneten Kloster.

„Als ich nach mehreren Besuchen von Klöstern dann schließlich vor der Klosterpforte in Offenburg stand, fiel eine Unruhe von mir ab und ich hatte ein merkwürdiges aber sicheres Gefühl: Hier gehöre ich hin!“, erinnert sie sich noch heute. Für ihre Mutter, die alleinerziehend war, sei die Entscheidung ihrer einzigen Tochter derweil ein großer Schock gewesen. Später habe sie den Entschluss akzeptiert, als sie merkte, wie glücklich ihre Tochter dort war. Sie zog sogar nach Offenburg ins Kloster Unserer Lieben Frau und unterstütze ihre Tochter beispielsweise bei religiösen Freizeiten im Liebfrauenhof in Fessenbach. An diese Tage denkt Schwester Martina sehr gern zurück, Freundschaften aus dieser Zeit bestehen bis heute.

Als Mädchen wuchs Schwester Martina Merkle zeitweise bei ihren Großeltern auf. Ihr Großvater war es auch, der ihr das kritische Denken vorlebte. „Er war nicht in der Partei und entschiedener Gegner der Nazis“, sagt die Ordensfrau. Die konsequente Haltung und die Eigenschaft, kritisch zu hinterfragen und mutig zur eigenen Meinung zu stehen, habe sie von ihrem Großvater gelernt.

Dies alles stets als „Lehrerin mit Leib und Seele“ ihren Schülerinnen zu vermitteln, ganz im Sinne der Bibel „Prüfe die Geister, behalte das Gute“, war ihr Bestreben. „Nicht nur Wissen zu lehren, sondern auch Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen, ist der Anspruch der Klosterschulen.“ Das sei sehr schön, wenn so ein Samen aufgehe. Aber sie vermisse auch eine gewisse Tiefe in der heutigen Zeit: „Vieles ist so flach geworden.“ Dabei sei es so wichtig, erst einmal Fakten zu sammeln, bevor man überall und zu jedem Thema mitrede, findet die Ordensfrau.

Seit 2010 ist sie vom Schuldienst beurlaubt, im weltlichen Sinne in Rente. Aber langweilig wird es ihr nicht. Sie habe ihre Aufgaben, bereite religiöse Vorträge vor, sei Mitglied im katholischen Pfarrgemeindeund Stiftungsrat sowie im Ordensrat in Freiburg. Seit Neuestem engagiere sie sich auch in der Citypastoral in Offenburg. Sie stehe zwar nicht mehr um 5 Uhr auf, nur noch um 5.30 Uhr („Man braucht scheinbar doch mehr Schlaf“), aber ansonsten ist sie keineswegs müde. Mit Schwester Therèse, der jüngsten der fünf Ordensschwestern des Klosters, ist sie oft sportlich unterwegs. Bald steht eine Reise in die Schweiz zum Wandern an.

Ihren 75. Geburtstag feiert sie nur im kleinen Kreis. Das größere Fest plant sie im Oktober: Da feiert sie ihre goldene Profess. „Zweimal kann ich nicht viele Leute einladen.“

VON KIRSTEN PIEPER

Quelle: Offenburger Tageblatt

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