Ortenauer Originale: "Es gibt noch viele Klischees"

von Bi-Bahntrasse

„Es gibt noch viele Klischees“

In unserer Serie „Ortenauer Originale“ porträtieren wir Menschen mit dem gewissen Etwas. Heute (129): Schwester Martina vom Kloster Unserer Lieben Frau in Offenburg. Die 76-Jährige hat für ihr Engagement gegen den Bahnlärm 2017 das Bundesverdienstkreuz erhalten.

Schwester Martina

Schwester Martina vom Kloster Unserer Lieben Frau in Offenburg verfolgt die aktuellen Entwicklungen in der Gesellschaft mit scharfem und kritischem Blick. Ihre Entscheidung, in einen Orden einzutreten, hat sie nie bereut. Das untere Foto zeigt sie mit einem Teil der fast 70 Ordner, die sich im Laufe der Jahre zum Thema Ausbau der Rheintalbahn und Bahnlärm angesammelt haben. Foto: Christoph Breithaupt

VON DOMINIK KALTENBRUNN

Fünf Stunden Schlaf reichen ihr immer noch aus. Trotz ihrer 76 Jahre steht Schwester Martina vom Kloster Unserer Lieben Frau in Offenburg noch immer täglich um 5.30 Uhr auf. 24 Jahre lang war sie Oberin, außerdem 41 Jahre Lehrerin an den dortigen Klosterschulen. Nach dem Chorgebet mit den Mitschwestern nützt sie in der letzten Zeit die frühen Morgenstunden, um im Klosterarchiv zu recherchieren, aktuell etwa für das anstehende 200-jährige Ordensjubiläum in Offenburg. Für ihren Einsatz im Protest gegen die damalige Bahn-Planung, den europäischen Güterzugverkehr mitten durch Offenburg auf der Rheintalschiene zu führen, hat die ehemalige Villingerin mit dem evangelischen Dekan i. R., Manfred Wahl, 2017 das Bundesverdienstkreuz erhalten – und wurde dabei überregional als das Gesicht des Bahnprotests bekannt. Bis heute hat sie die Entscheidung für Gott und die Belange der Mitmenschen draußen in der Welt nie bereut.

Der Alltag der rüstigen und umtriebigen Ordensfrau ist nach wie vor prall gefüllt. „Manchmal schlafe ich jetzt am Wochenende etwas länger. Seit ich in der Schule nicht mehr unterrichte, gibt es auch mal ruhigere Zeiten“. Langweilig wird es der 76-Jährigen aber nicht. Der Klosteralltag hat eine klare Struktur, die von Beten und Arbeiten geprägt ist. Wir Schwestern tragen unser Leben vor Gott und gehen so gestärkt an unsere Arbeiten in Schule und Haus. Ich erledige Einkäufe, richte Besuchszimmer und besorge die Küche an Wochenenden. „So bleiben wir bodenständig und heben nicht ab“, sagt Schwester Martina.

Frühe Entscheidung gefällt

Schon während der sechsten Klasse erlebte sie eine Art Anrufungsmoment. Sie selbst war immer sicher, ein Leben im Kloster führen zu wollen. Diese Entscheidung ihrem Umfeld mitzuteilen, fiel der jungen Frau aber schwer. „Meine Mutter konnte damit zuerst nicht gut umgehen. Sie war alleinerziehend, die Verlobung mit meinem Vater war in der Endzeit des Zweiten Weltkriegs auseinandergegangen“, erzählt Schwester Martina. Die Mutter habe damals auch daran gedacht, wer sie im Alter mal versorgen würde. Am Ende fanden die beiden aber wieder zueinander. Die Mutter zog in eine Privatwohnung auf dem Gelände des Klosters in Offenburg. „Wir haben gemeinsam unter einem Dach gelebt, das war für beide eine große Erleichterung.“

Dass sie sich für ein verzichtreiches Leben in Einfachheit entschieden hat, hat die 76-Jährige nie als Bürde empfunden. „Verzicht kling immer so negativ. Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, in der es bis vor Kurzem alles im Überfluss gab“, sagt sie. Ein Leben im Kloster mache bescheiden. In der gerade abgelaufenen vorösterlichen Fastenzeit war der Verzicht auf Süßes auch für eine Ordensfrau eine Herausforderung – neben anderen Vorsätzen. Wichtig sei zu lernen, sich selbst zu disziplinieren – aber nicht zu kasteien. „Früher haben sich die Leute im Kloster teils krank gehungert, das kann es ja nicht sein“, sagt sie. Ihr Ziel als Oberin sei es immer gewesen, dass alles da ist, was die Schwestern brauchen, um sich gesund zu erhalten. „Dazu gehörte auch ein Spaziergang an der frischen Luft oder mal ein längerer Schlaf“, erzählt sie. Wenn, wie erst kürzlich, eine Schülerin sich bei ihr beklagte, dass in der Familie auf so viel verzichtet werden müsse, frage sie erst mal nach, ob in ihrem Kleiderschrank überhaupt noch Platz für neue Klamotten sei, so die Ordensfrau schmunzelnd.

Viele würde die Überfluss- und Wegwerfgesellschaft in Deutschland nicht glücklich machen. „Mein Credo ist, dass man Zivilcourage haben und sagen muss: Ich gönne allen alles, aber für mich ist es kein Wert, alles haben zu müssen. Aufstehen gegen den Mainstream und mit weniger auskommen, das entlastet!“ Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung fordere heute die Jugend.

Ihren Schülerinnen wollte sie immer mitgeben, mit einer kritischen Haltung durch das Leben zu gehen. „Wenn du eine andere Meinung hast als die Mehrheit in deinem Umfeld, musst du das durch Argumente erklären können. Alles kritisch prüfen, und das Gute behalten! Das wollte ich vermitteln“, sagt sie.

„Das ist nicht meine Art“

Mit dem Zustand der eigenen Kirche befasst sich die Ordensfrau natürlich auch. Sie nimmt das negative Bild, das die Katholische Kirche derzeit bietet, als Aufruf wahr, bewusst auf Signale zu achten, die einen Wandel andeuten, so zum Beispiel den erweiterten Zugang zu kirchlichen Ämtern und den Ausbau der ökumenischen Zusammenarbeit der Kirchen. Mit der Bewegung „Maria 2.0“ habe sie ihre Bedenken. Die Grundidee, dass Frauen in Gesellschaft und Kirche mehr Gleichberechtigung einfordern, unterstützt Schwester Martina. „Aber die Bewegung „Maria 2.0“ überzeichnet einiges. Die Art und Weise dieser Proteste ist nicht die meine. Ich möchte mit belegbaren Fakten argumentieren und mich nicht mit spektakulären Auftritten bei einer Bischofsweihe auf die Kirchentreppe legen. Der sogenannte Gegner muss immer das Gefühl haben, er wird von mir angenommen.“

Schwester Martina


Dass sich eine Nonne in vorderster Reihe gegen den zunehmenden Güterzuglärm in Offenburg engagiere, hat viele überrascht. Wenn sie Gespräche führe, merke sie auch heute noch, dass das Gegenüber überrascht ist von ihrer fortschrittlichen Einstellung. „Ich spüre, dass in der Gesellschaft noch viele Klischees vorhanden sind. Manche sind überrascht, wie modern Klöster teils aufgestellt sind. Nonnen stellt man sich immer noch abgeschlossen hinter Klostermauern vor. Heute öffnen sich die Klöster bewusst und nehmen öffentliche Aufgaben wahr.“

Es sei eine Pionierleistung gewesen, dass Ordensleute schon im 16. Jahrhundert öffentliche Schulen errichteten. Wer gleichzeitig eine Schule führe, müsse immer auch auf der Höhe der Zeit sein, berichtet Schwester Martina.

Einen lang gehegten Wunsch hat sich Schwester Martina mittlerweile erfüllt. Regelmäßig spiele sie die Gottesdienste in der Klosterkirche auf der historischen Silbermannorgel, nachdem sie schon in der Kindheit Klavierunterricht hatte. „Wenn große Feste anstehen, dann ist natürlich ein hauptamtlicher Organist zur Stelle. Das Orgelspiel ist für mich wie eine „Aus-Zeit“, in der ich alles andere vergesse, das tut der Seele gut.“ Das Lesen überwiegend theologischer Bücher geschieht meistens zu nächtlicher Stunde.

Großeltern sind Vorbilder

Als wichtige weltliche Vorbilder in ihrem Leben nennt Schwester Martina insbesondere ihre Großeltern. „Zuhause herrschte eine wohltuende Atmosphäre. Der Schwarzwälder Menschenschlag redet nicht so viel, und so war es auch bei uns. Aber man begegnete sich immer wohltuend.“

Das Kloster liegt direkt an der Rheintalbahn, etwas südlich des Offenburger Bahnhofs. Der Lärm durch die vielen langen Güterzüge sei teils so laut gewesen, dass man sich im Kloster nicht mehr unterhalten konnte. „Das endete nie, war permanente Lärmbelästigung.“ Als sie von Bürgerinitiativen im Raum Freiburg hörte, fing sie an, sich selbst zu engagieren. „Die Lebensqualität der Menschen hatte stark gelitten. „Wenn der Mensch nachts nicht mehr zur Ruhe kommt, wird er krank“, sagt sie. In Offenburg habe damals große Besorgnis geherrscht, weil die Deutsche Bahn zwei weitere Güterzuggleise durch den sogenannten Bahngraben führen lassen wollte. Unter anderem dem Einsatz der heute 76-Jährigen ist es zu verdanken, dass stattdessen ein Tunnel gebaut wird. „Der Durchbruch kam, als sich die vielen kleinen BIs zur IG Bohr zusammengeschlossen haben“, sagt sie.

Am Anfang habe die Bahn bei den Protesten den einfachen Bürger nicht ernst genommen. „Wir mussten uns mit Fakten wehren. Zuerst haben da viele ungläubig geschaut nach dem Motto: Was will denn eine Nonne hier?“ Im Laufe der Zeit sei sie dann aber respektiert worden. Das Bundesverdienstkreuz 2017 habe sie gemeinsam mit dem evangelischen Ex-Dekan Manfred Wahl stellvertretend für viele angenommen. „So was macht man nicht, um Anerkennung zu bekommen“, sagt sie. Ein Satz, der sich gut auf das ganze Leben von Schwester Martina übertragen lässt.

ZUR PERSON
Schwester Martina

Schwester Martina wurde am 17. Juli 1946 in Säckingen am Hochrhein geboren, aufgewachsen ist sie als Gaby Merkle in Villingen. Schon während der sechsten Klasse erlebte sie im Villinger Münster in der Kapelle mit Nägelinskreuz eine Art Anrufungsmoment. Für die Entscheidung beriet sie der Cousin ihrer Mutter, der als Mönch im Kloster Beuron lebte. Am 22. August 1976 legte Schwester Martina die ewige Profess im Kloster Unserer Lieben Frau in Offenburg ab. Ihr zweites Staatsexamen im Fach „Hauswirtschaft, Handarbeit und Turnen“ legte sie 1969 ab. Den Lehrerberuf an den Klosterschulen Offenburg bezeichnet sie als ihre zweite Berufung. Nach 43 Jahren im Schuldienst, davon 41 in Offenburg, wurde sie 2010 freigestellt.

Text: Dominik Kaltenbrunn
Foto: Christoph Breithaupt

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